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„Sloop John B“ – Vom Seemannslied zur Pop-Hymne: Wie ein vergessener Shanty über 50 Jahre Musikgeschichte überlebte
Manchmal beginnt Musikgeschichte nicht mit einem Geniestreich, sondern mit einer schiefen Melodie, die keiner so recht will. „Sloop John B“, weltbekannt durch die Beach Boys, ist genau so ein Fall. Ein Lied, das Brian Wilson ursprünglich für zu simpel hielt – „zu wenig Akkorde, zu viel Banjo“, könnte man sagen. Und doch wurde es ein Welterfolg, ein Meilenstein auf dem vielleicht einflussreichsten Popalbum aller Zeiten: „Pet Sounds“.
Doch der Reihe nach.
Bereits 1917 wurde das Lied erstmals schriftlich erwähnt, ursprünglich ein Bahamian Folk Song, unter dem Titel „The John B. Sails“. Die älteste bekannte Aufnahme stammt von 1935, eingespielt von der Cleveland Simmons Group, deren Version unter dem maritimen Titel „Histe Up the John B. Sails“ segelte. Der Text beschreibt einen chaotischen Ausflug auf einem Segelschiff – die namensgebende „Sloop“ –, auf dem zwei betrunkene Passagiere einen Streit vom Zaun brechen. Das Ziel: zurück in den sicheren Hafen, zurück zur Ordnung. Eine Allegorie? Vielleicht. Oder einfach nur ein Trinkerlied mit Tiefgang.
Vor den Beach Boys machten sich bereits Größen wie Lonnie Donegan, Johnny Cash, Barry McGuire und das Kingston Trio an dem Song zu schaffen. Er wanderte durch Folkclubs, Skifflekeller und Country-Scheunen – ein ewiger Wanderer im Schatten des Mainstreams.
Alan Jardine, Mitglied der Beach Boys und erklärter Folk-Fan, überredete schließlich einen widerwilligen Brian Wilson, eine eigene Version aufzunehmen. Die erste Rohfassung schlummerte über ein halbes Jahr auf den Studio-Bändern – zu einfach, zu gestrig. Doch dann kam alles anders: Das Arrangement wurde komplexer, die Harmonien raffinierter, die Produktion opulent.
1966 wurde „Sloop John B“ zur Single – und ein explosiver Erfolg. In den USA auf Platz 3, in Großbritannien auf Rang 2, weltweit ein Charterfolg. Allein in den ersten zwei Wochen verkaufte sich die Single über 500.000 Mal. Und ganz nebenbei bereitete sie mit ihrer üppigen Produktion den Weg für die Klangästhetik, die auf „Pet Sounds“ vollends zur Blüte kam.
Interessant ist auch der historische Kontext: Die „Sloop John B“ war ein reales Schiff, eine Schaluppe aus der Karibik, benannt nach dem Kapitän John Bethel, gesunken um 1900 vor Eleuthera, einer Insel der Bahamas. 1926 wurde das Wrack entdeckt. Doch was da musikalisch geborgen wurde, überdauerte Schiffbruch und Zeitgeist gleichermaßen.
Und heute? Eine Gruppe namens The Fendertones, bestehend aus Beach-Boys-Enthusiasten und Vintage-Instrumenten-Virtuosen, lässt die Harmonien von einst wieder aufleben. Ihre minutiös rekonstruierte Version von „Sloop John B“ hat auf YouTube über 4 Millionen Views – ein Beweis dafür, dass gute Musik oft ein zweites Leben hat. Oder ein drittes. Oder ein viertes.
Denn manche Songs werden nicht geschrieben – sie entstehen, verschwinden und kehren zurück, wie eine Melodie, die der Wind auf offener See trägt.