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Drafi Deutscher –
Genie mit Schattenriss: Der Sänger, der BRAVO unangenehm wurde
War er noch Teil der BRAVO-Familie – oder hatte man ihn verstoßen? Im Spätsommer 1966 stellt sich Deutschlands größtes Jugendmagazin diese Frage öffentlich. Die Leser entscheiden mit. Im Mittelpunkt: Drafi Deutscher, der Junge aus Berlin-Charlottenburg mit dem markanten rollenden „R“, der in nur zweieinhalb Jahren zur Galionsfigur des deutschen Beat avanciert war.
Was war geschehen?
Die Antwort liefert Drafi selbst, in bemerkenswerter Offenheit – wie so oft in seinem Leben. In Ausgabe 32/1966 erinnert er sich:
„Ich hatte eine Wohnung im Hansaviertel mit tiefem Parterre-Fenster. Teenager wussten, dass ich dort wohnte. Oft versteckten sie sich in den Büschen vor dem Fenster. Vielleicht haben sie mich dabei einmal im Adamskostüm gesehen.“
Der Vorwurf: Erregung öffentlichen Ärgernisses – angeblich vor Kindern. Die Kripo war eingeschaltet. Und die BRAVO – sonst eher chronische Jubelmaschine – rückte das Thema in den Fokus. In Ausgabe 34 rief sie die Leserschaft zur Urteilsfindung auf. Das Ergebnis? Zwei Drittel votierten für Drafi. Doch es half nichts: Die Redaktion zog sich zurück. Fortan blieb Drafi Deutscher in der BRAVO außen vor. Der Goldene OTTO, den er wenige Monate zuvor erhalten hatte, blieb seine einzige Auszeichnung von der Jugendikone.
Ein beispielloser Absturz. Doch einer, der nur das Ende des ersten Kapitels markierte.
Dabei war der Aufstieg atemberaubend: Im Januar 1964 erschien »Teeny«, und mit ihm betrat ein Ausnahmetalent die Bühne der Republik. Acht Hits folgten in kurzer Folge, darunter der ewige Evergreen »Marmor, Stein und Eisen bricht« – ein Lied, das sich wie kein zweites in die kollektive Erinnerung eingebrannt hat. Über den Jahreswechsel 1965/66 stand es fünf Wochen auf Platz Eins der BRAVO-Charts – eine Hymne auf Herzschmerz und Treue, gesungen mit der Inbrunst eines Jungen, der das Leben von unten kannte.
Denn Drafis Geschichte war nie glatt.
1946 geboren, wuchs er ohne Vater bei Mutter und Großmutter auf. Die Wohnung: klein. Das Einkommen: schmal. Doch seine Leidenschaft für Musik war grenzenlos. Schon früh spielte er auf Luftballons, später auf Mundharmonika, Flöte, Gitarre, Akkordeon, Schlagzeug – acht Instrumente beherrschte er mit 18 Jahren.
Seine erste Band – Die Zeitbomben – zündete nicht. Doch mit The Magics gelang der Durchbruch. BRAVO jubilierte 1965: „Nicht nur der Name ist besser. Auch die Jungs, mit denen Drafi jetzt Musik macht, sind besser.“
Dann kam der Skandal. Die Pause. Und schließlich: die Wiedergeburt.
1969 kehrte Drafi zurück – leiser, aber klüger. Er wurde Komponist. Produzent. Stratege im Hintergrund. Seine Werke wurden Welthits: »Belfast« (Boney M), »Mama Leone« (Bino) – und natürlich »Jenseits von Eden«, das Nino de Angelo mit Drafis englischem Original »Guardian Angel« auf Deutsch neu interpretierte. Ein Monument von einem Lied.
Am Ende stand ein Musiker, der in keine Schublade passte: Beat-Star, Balladenpoet, Hitmacher, Einzelgänger. Seine äußere Erscheinung – Hut, Bart, leiser Trotz – spiegelte das Innenleben eines Mannes, der nie weichgespült war.
Im Mai 2006 stirbt Drafi Deutscher mit nur 60 Jahren. Herzinfarkt, Diabetes, mehrere Schlaganfälle. Was bleibt, ist mehr als Musik: Es ist die Aura eines Genies, das sich dem Zeitgeist nie unterwarf – und gerade deshalb unvergesslich blieb.