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Die Lords: Als der Beat made in Germany das Licht der Welt erblickte
Es war nicht Liverpool. Es war nicht London. Es war der Hamburger Star-Club. Und es war nicht John, Paul, George und Ringo, sondern Ulli, Leo, Rainer, Knud und Peter, die 1964 in BRAVO Ausgabe 39 erstmals als neue Hoffnung des deutschen Beats ausgerufen wurden. Die Lords – später gefeiert als „die erfolgreichste deutsche Beat-Band der 60er“ – gewannen hier den von United Artists gestifteten Wettbewerb zur besten „Beatle-Band“ Deutschlands. Das Preisgeld: 1.000 D-Mark. Der eigentliche Gewinn: Ein Plattenvertrag mit EMI, ein Managementdeal – und ein direkter Draht ins Pop-Oberhaus.
Was als lokale Skiffle-Kapelle unter dem Namen „Skiffle-Lords“ begann, verwandelte sich – in einer geradezu mythisch aufgeladenen Silvesternacht 1962/63 – in eine stilprägende Beat-Formation. Mit Melonen, Rüschenhemden, uniformen Outfits und der legendären Prinz-Eisenherz-Frisur etablierten sich die Lords als Markenprodukt des West-Berliner Beats: seriös, sauber, smart – das Gegenmodell zum Schmuddel-Image anderer Szenegruppen.
Der Wandel wurde bei einem Auftritt im Berliner Jazz-Lokal „New Orleans“ inszeniert – laut BRAVO ein performativer Neuanfang. Um Mitternacht flogen die Waschbretter raus, die Lord-Kostüme rein. Ein stilistisches Manifest, mit dem sich die Band endgültig vom aussterbenden Skiffle verabschiedete und den Sound der Zukunft betrat.
Ulli Günther, Gründer und Stimme der Band, war nicht nur ein exzentrischer Showman, sondern ein kluger Stratege. Er erkannte früh, dass visuelle Identität genauso wichtig war wie musikalische Präzision. Der Erfolg gab ihm recht: 1.500 D-Mark pro Auftritt, bis Ende 1966 ausgebucht, BRAVO-Cover, Fanclubs, Musicbox-Platzierungen. Deutschland hatte seine eigenen Beatlemaniacs – sie kamen aus Berlin.
Doch auch diese Erfolgsgeschichte blieb nicht von Tragik verschont. Im Februar 1965 verunglückten Peter Donath und Knud Kunze bei einem schweren Autounfall. Lord Knud überlebte, verlor aber ein Bein – ein harter Schlag für die Band. Ersatz kam durch Heinz Hegemann, später übernahm Bernd Zamulo dauerhaft den Bass.
„Shakin’ All Over“ war 1965 der erste BRAVO-Musicbox-Eintrag (Platz 16), gefolgt von deutlich erfolgreicheren Titeln wie „Poor Boy“ und „Gloryland“ (beide Platz 6). Die Lords hatten einen Nerv getroffen – und zwar den der deutschen Jugend, die zwischen Wirtschaftswunder und englischer Invasion nach einem eigenen Sound suchte.
Nach einer fünfjährigen Pause in den 1970ern traten die Lords in wechselnden Besetzungen weiter auf. 1999 starb Gründungsmitglied Ulli Günther nach einem Sturz bei einem Bühnenauftritt – ein dramatischer Schlusspunkt für eine Figur, die deutschem Pop ein Gesicht gab.
Bis 2024 steht Leo Lietz auf der Bühne – der letzte Ur-Lord. Aber das Vermächtnis der Band lebt. Über 60 Jahre Bandgeschichte, Hits, Imagepflege, Verlässlichkeit – das ist mehr als Nostalgie. Das ist deutsche Popgeschichte. Punkt.